Obwohl dieses Buch seit einer Reihe von Jahren auf dem Markt ist und jetzt bereits in 2.
Auflage vorliegt, habe ich es erst kürzlich und auch mehr durch Zufall gelesen.
Und ich muss sagen, ich war aufs angenehmste überrascht. Nicole Nau weiss nämlich,
wovon sie spricht, und das ist unter den deutschen Tangopublizisten leider keineswegs
selbstverständlich. Man merkt ihrem Buch in jeder Zeile an, dass sie den Tango im
wahrsten Sinne des Wortes "erfahren" hat, dass sie den Tango lebt. Und das alles geht
wohltuend ohne peinliche Psychologisiererei und ohne esoterisches Geschwafel. Nau schreibt
handfest, dabei in gutem, flüssig zu lesendem Stil, was sie über den Tango als
Tanz, seine Riten und Rituale, seine Örtlichkeiten, seine Menschen und seinen Humus
auf dem er lebt und gedeiht, nämlich die Stadt Buenos Aires, zu sagen weiss. Das ist
eine ganze Menge und in dieser Vollständigkeit und Sachkenntnis zuvor noch nicht in
deutscher Sprache zu Papier gebracht worden.
Weil Nicole Nau sich die argentinische Hauptstadt als Wohnsitz ausgesucht hat, wird die
uruguayische Hauptstadt Montevideo, in der zur gleichen Zeit wie in Buenos Aires der Tango
entstand, nur ganz am Rande erwähnt. Aber es ist besser, nur über etwas zu schreiben,
das man kennt, als irgend etwas vorzutäuschen. Obwohl Buenos Aires selbstverständlich
die unangefochtene Weltmetropole des Tangos ist, bekommt man ein vollständiges Bild des
Tangos nur, wenn man auch den Tango in der kleineren Schwesterstadt Montevideo kennt, wo doch
ein ganz anderes Flair herrscht.
Das beste an diesem Buch ist, dass hier klar herausgearbeitet wird, warum der Tango Argentino
als Tanz so einmalig ist und mit keinem anderen Paartanz vergleichbar. Deshalb habe ich das
Buch auch schon Schülern von uns wärmstens empfohlen. Dass die Begeisterung für
Buenos Aires vielleicht ein paar Mal mit Nicole Nau durchgegangen ist, finde ich verzeihlich.
So ist die Haltung der Leute auf der Strasse natürlich nicht anders als in anderen
Grossstädten unseres Globus' auch. Oder umgekehrt, Typen, von denen man sagen könnte,
"der sieht aus wie ein echter Tanguero", die kann man auch anderswo finden, nicht nur in Buenos Aires.
Ein wenig zu sehr mit heisser Nadel gestrickt ist das "Tango-Lexikon" im Anhang des Buches.
Da gibt es doch einige Unrichtigkeiten, Halbrichtigkeiten und Ungenauigkeiten. Zum Beispiel
kamen die grossen alten Tangolehrer nicht erst seit 1990 zum Unterrichten nach Europa, sondern
schon früher. Da diese Angabe letztlich unerheblich ist, hätte man sie auch weglassen
können. Gravierender ist es, wenn Fachbegriffe falsch erläutert werden. Überhaupt
sollte man sich an Begriffserklärungen im Tango nur sehr vorsichtig heranwagen, denn zu
leicht gerät man dabei aufs Glatteis. Viele Begriffe im Tango sind einfach nicht eindeutig
festgelegt.
Nau schreibt als Erklärung für den Begriff "Tango Milonga", dass es sich dabei
um die frühen Tangos handelt, die noch im 2/4 Takt komponiert wurden und nicht im
späteren 4/8 Takt. Diese Aussage ist so nicht richtig. So wurden beispielsweise die
Texte des berühmtesten Tangodichters, Homero Manzi, von den unterschiedlichsten
Tangokomponisten vertont, und zwar die absolute Mehrzahl von ihnen im 2/4 Takt. Aber nur
wenige tragen die Bezeichnung "Tango Milonga". Wie so oft, ist im Tango vieles eher
Empfindungssache als rational zu begründen. "Tango Milonga" ist einfach ein ziemlich
schneller Tango, den man als besonders gut tanzbar empfindet. Im Gegensatz zum "Tango
Canción" dem Tangolied, das langsamer ist und mehr zum Zuhören gedacht
(das aber natürlich auch getanzt werden kann). Zudem gibt es den 2/4 Takt auch bei
späten Tangos. Der 2/4 Takt ist niemals vollständig vom 4/8 Takt abgelöst
worden.
Die kleinen Ungenauigkeiten schmälern den Wert des Werkes aber nicht, und es ist auch
nicht nur für Tango-Tanzschüler interessant. Auch als erfahrener Tanguero oder
Tango-Profi liest man das Buch gern, denn man erkennt alles wieder und kann dabei immer
so schön sagen: "So isses!"
© Eckart Haerter, 2001
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