TANGO ARGENTINO
ULRIKE & ECKART HAERTER

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Anmerkungen von Eckart Haerter zu:

Raimund Allebrand: Das Frauenbild im Tango : Aufsatz in "Hispanorama : Zeitschrift des Deutschen Spanischlehrerverbandes (DSV)" 103.2004

Als altgedientem Tango-Argentino-Lehrer möge mir Raimund Allebrand, der Autor des Aufsatzes über das Frauenbild im Tango (Hispanorama Nr. 103.2004), einige Anmerkungen nicht verübeln. Allebrand beginnt seinen Aufsatz mit Ausführungen zum Tango als Tanz. Nun ist HISPANORAMA ganz sicher kein Fachorgan für Tango Argentino. Zieht man aber in Betracht, dass seine Leser überwiegend Philologen sind, deren hauptsächliches Betätigungs­feld nicht der Tango ist, dann sollten diese Bemerkungen nicht unkommentiert bleiben.

„Marcar y responder“, „Zeichen­­geben und antworten“, das ist die Formel, nach der sich Mann und Frau im getanzten Tango bewegen. Und was sich beim Tango zwischen dem Tanzpaar abspielt, ist in der Tat ein getanzter Dialog. Die Begriffe „Führen“ und „Folgen“ entsprechen dagegen europäischen Denkgewohn­heiten. In diesem Sinne trifft das vom Autor verwendete Wort von der „Führungsrolle“ des Mannes den Sachverhalt nicht. Beim Wechselspiel des getanzten Tangos (und es ist vor allem ein Spiel), folgt die Aufgaben­verteilung zuvörderst praktischen und ästhetischen Gesichts­punkten. Man spricht von einer „Rol feminino“ und einer „Rol masculino“. Diese Rollenverteilung ist deutlich geschlechts­bezogen, wobei der Frau zumeist die „reizenden“, hüftbetonten, anmutigen, dekorativen und nicht selten bodenferneren Elemente des Tanzes zufallen.

Der Mann, mit im Normalfall grösserer Körperkraft und grösserem Körpergewicht, ist für die Stabilität des Paares beim Tanz verantwortlich. Er unterstützt seine Partnerin bei allen Figuren, bei denen sie im labilen Gleichgewicht tanzt. Und das kommt sehr oft vor. Häufig befindet sie sich dabei mit nur einem Fussballen im Kontakt zum Boden. Oder sie gibt den Bodenkontakt, zum Beispiel bei einer Sentada, sogar vollständig auf. Es wäre unpraktisch, ja unmöglich, die Einleitung der nächsten Sequenz demjeni­gen Part zuzuweisen, der die geringere Bodenschwere, die weniger feste Boden­haftung hat. Eine unmissver­ständliche, deutliche Marca ist der Anspruch, den die Frau an ihren Tanzpartner stellt. Ohne die gekonnte Marca des Mannes kann die Frau ihr eigenes Können nicht zur vollen Entfaltung bringen.

Das Rollenspiel im Tango ist jedoch weit komplexer als es hier in Kürze dargestellt werden kann. Männer- und Frauenrolle im Tango sind gleichberechtigt, dabei aber so verschieden wie die Geschlechter. Es ist das grosse Spiel des Lebens zwischen Mann und Frau, das der Tango abbildet. Mit „Führen“ und „Folgen“ hat das nichts zu tun. Es kann im getanzten Tango sogar zu einem kurzen spielerischen Rollentausch kommen, bei dem der Mann seine Stabilität aufgibt und Bewegungen im labilen Gleichgewicht tanzt, während die Frau ihn dabei unterstützt und „führt“. Dennoch ist das krasse Missverständnis von der Führungsrolle des Mannes im Tango bei uns nur schwer zu korrigieren. Das gilt auch besonders für den angelsächsischen Raum, wo konsequent, in vermeintlicher political correctness, nicht einmal mehr von Mann und Frau, sondern nur noch von „Leaders“ and „followers“ gesprochen wird. So als handelte es sich beim Tango nicht um ein flirrendes und knisterndes Zweipersonenspiel mit einer weiblichen und einer männlichen Rolle, sondern (wie öde!) um einen Akt von Führen und Folgen.

Allebrand führt weiter aus: „Aus maskuliner Perspektive lässt sich der Tango nur tanzen, wenn man weiss, was man will und Vorstellungen hat, wie es weitergeht“. Dies scheint mir doch mehr die Perspektive eines männlichen Tangotanz-Schülers zu sein. Jedenfalls würde ein erfahrener Tango­tänzer diese Aussage sicher so nicht treffen. Lässt man einmal die äusseren Bedingungen wie Fülle der Tanzfläche usw. ausser acht, dann ergibt sich der Tanzablauf aus dem tänzerischen Können des Tanzpaars. Natürlich geht der Mann nicht mit einem Plan oder bestimmten Vorstellungen über den Tanzablauf auf die Tanzfläche (es sei denn, er schickt sich an, eine Choreographie zu tanzen). Der Dialog ist ein lebendiger. Die getanzten Figuren entstehen spontan, ungeplant, im wortlosen, nur im sensiblen körperlichen Kontakt sich abspielenden Zwiegespräch. Und wie es nach einer Sequenz „weitergeht“, entscheidet sich im Bruchteil einer Sekunde. Diesen Sekundenbruchteil muss der Mann - einen Gedankenblitz lang - der Frau natürlich voraus sein. Einfacher ist die Rolle der Frau im technischen Tanzablauf dadurch aber keineswegs. Ihre Schwierigkeiten sind nur anderer Art. Denn während die Frau auf mehrere verschiedene Übergänge, also verschiedene Möglichkeiten einer Marca, intuitiv gefasst sein muss, braucht dem Mann immer nur ein einziger Übergang einzufallen, damit es weitergehen kann. Und je gefühlvoller, sensibler und intensiver der Kontakt sich im Tanzpaar gestaltet, desto weniger Missver­ständ­nisse gibt es, desto vollkommener ist die Harmonie.

Nun noch zum Frauen- und Männerbild in den Texten des Tangos. Die meisten diesbezüglichen Aussagen in Allebrands Aufsatz treffen zu. Aber das Bild wird zu einseitig gezeichnet und mit entsprechenden Zitaten belegt. Auch hier seien ein paar Ergänzungen zur Komplettierung des Bildes gestattet. Nicht immer verlässt die Frau den Mann, und nicht immer trägt die Frau die Schuld am Zerbrechen der Beziehung. Auch die folgenden Beispiele schildern die Lage aus der Sicht des Mannes, aber hier trägt der Mann die Schuld und leidet darunter, während der Frau mehr menschliche Wärme und die grössere seelische Reife zugesprochen wird.

Barrio de tango, qué fué de aquella
Juana la rubia que tanto amé.
Sabrá que sufro, pensando en ella
desde la tarde que la dejé ...

Stadtteil des Tangos, was wurde aus jener
Juana, der Blonden, die ich so liebte?
Sie wird wohl wissen, dass ich leide, wenn ich an sie denke,
seit jenem Abend, als ich sie verliess ...
(Barrio de Tango)

Pensar que puse en tus manos
una culpa que era mía.
Pensar que no te llamé
y me alegré
mientras estabas penando;
pensar que no te seguí
y me reí
cuando te fuiste llorando.

Zu denken, dass ich dir die Schuld
aufbürdete, die meine war...
Zu denken, dass ich dich nicht rief
und mich amüsierte
während du gelitten hast;
Zu denken, dass ich nicht zu dir ging
und lachte
als du geweint hast ...
(De Barro)

Y hoy al encontrar
la protección de tus manos serenas
recién siento que me apena
saber que te hice mal.

...
Hoy, al retornar,
pensé encontrar el reproche de tu olvido
y tan solo hallé el castigo
de todo tu perdón.

Und heute, wo ich die
Wohltat deiner sanften Hände empfange,
fühl ich erst, wie es mich schmerzt,
zu wissen, was ich dir angetan.

...
Heute, bei der Rückkehr
dachte ich, dem Vorwurf deiner Abkehr zu begegnen,
doch ich fand nur die Strafe
deines vollständigen Verzeihens.
(Recién)

Recién entonces te busqué
quemando con tu fe
la fría cerrazón del alma
y en el amor de tu sufrir
vi nacer el alba,
alba de mi porvenir.

Aufs neue ging ich, suchte dich,
wärmte mit deiner Treue
die kalte Starre meiner Seele.
Und in der Liebe deines Leidens
sah ich die Geburt des Tags,
den Tagesanbruch meiner Zukunft.
(Alba)

Ya no serás jamás aroma de rosal,
frescor de manantial en mi destino.
Solo serás la voz, que me haga recordar
que en un instante atroz te hice llorar.

Du wirst nie mehr der Duft des Rosenbusches sein,
der frische Quell in meinem Dasein.
Du bist nur noch die Stimme, die mich daran erinnert,
dass ich in einem grausigen Moment dein Grund zum Weinen war.
(Fruta amarga)

Alle obigen Zitate stammen aus „Letras“ von Homero Manzi. Aber Homero Manzi ist nicht irgendeiner, sondern der heraus­ragendste, geachtetsten und an beiden Ufern des La Plata der geliebteste Tangodichter. Ihn in einer Abhandlung über das Männer- und Frauenbild im Tango gänzlich wegzulassen, wäre so, als würde man in einem Aufsatz über die Dichtung der deutschen Romantik Eichendorff vergessen. Und wenn man ein bisschen sucht, dann findet man auch bei anderen Dichtern ähnliche Texte, wie hier bei P. Lloret.

Y por pensar cuando volvio llorando,
buscando mi piedad, pidiendome perdón,
mirandola en el barro más la hundi riendome
Llorandola después, después cuando al partir
vivia el drama de estar solo con la voz de mi sentir.

Wenn ich daran denke, wie sie weinend zurückkam,
mein Mitleid suchte, mich um Verzeihung bat,
und als ich sie so im Schlamm stehen sah,
machte ich mich noch über sie lustig.
Später weinte ich um sie, später nach dem Auseinandergehn
erlebte ich das Drama des Alleinseins, allein mit der Stimme meiner Reue.
(Pa’ qué seguir)



© Eckart Haerter 2004 -
    [Diese Anmerkungen erschienen zuerst in HISPANORAMA Nr. 106.2004; ISSN 0720-1168]
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